Nach oben scrollen
© 2019, adribo Academy     |     urid

Neuer Gesetzentwurf zur frühen Öffentlichkeitsbeteiligung: Verpasste Chance der Politik und Möglichkeiten der Richtlinie VDI 7000

Konfliktmanagement im Vorfeld der Genehmigung von Industrie- und Infrastrukturvorhaben steht seit Stuttgart 21 auf der politischen Agenda ganz oben! 2013 hatte der Gesetzgeber die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung im neuen § 25 Abs. 3 VwVfG1 normiert. Am 14. Juni 2024 nun wurde dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für einen neuen § 25 a VwVfG2 im Bundesrat zugestimmt. Anschließend wird er wieder im Bundestag beraten werden.3

Der Titel des aktuellen Gesetzentwurfs „Stärkung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungs- und Genehmigungsverfahren“ lässt zunächst vermuten, dass es sich um eine Weiterentwicklung oder einen Ausbau der informellen Beteiligung im Sinne einer „Stärkung“ handeln soll. Der Entwurf soll Beschlüsse des Paktes für „Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“ zwischen Bund und Ländern umsetzen. Allerdings konzentriert sich der Entwurf der Bundesregierung lediglich auf die digitalen Hürden bei der Weiterverwendung der Ergebnisse der informellen frühen Öffentlichkeitsbeteiligung im behördlichen Genehmigungsverfahren. Und der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme ausschließlich die finanziellen Aufwendungen der Einheitlichen Stellen im § 71 e VwVfG-E thematisiert. Mehr „Stärkung“ war von der Politik bedauerlicherweise nicht geplant.

Praxisanforderungen

Denn in der Praxis der Industrie- und Infrastrukturprojekte ist eine Stärkung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich, wenn man die konfliktgeladenen Genehmigungsverfahren entlasten und beschleunigen will. Allerdings stellt sich hier zunächst die Frage, ob die Ergebnisse der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung überhaupt im Genehmigungsverfahren berücksichtigt werden dürfen und sollten. Denn rechtlich ist die Behörde frei von jeglichen Vereinbarungen oder konsensualen Einigungsprozessen im Vorfeld des eigentlichen behördlichen Verfahrens. Es ist also völlig ausgeschlossen, dass eine Behörde die Ergebnisse einer informellen frühen Öffentlichkeitsbeteiligung im Hinblick auf erreichte Konsense quasi „übernehmen“ könnte. Andererseits liegt die Herausforderung gerade darin, das informelle Verfahren mit dem förmlichen Genehmigungsverfahren dennoch sinnvoll zu verzahnen: Denn nur, wenn an das früh aufgebaute Vertrauen in das ernsthafte Bemühen des Vorhabenträgers und der Behörde angeknüpft werden kann, wird das eigentliche Genehmigungsverfahren davon auch profitieren.4 Das spielt für die Beschleunigung der Verfahren, die Bund und Länder dringend erzielen wollen, eine nicht unbeträchtliche Rolle.

Im Bund-Länder-Pakt der MPK wurde am 6.11.2023 beschlossen5, dass Bund und Länder „auf eine frühzeitige, effektive, straffe und zielorientierte Kommunikation zwischen Vorhabenträgern und Behörden sowie Bürgerinnen und Bürgern sowie Umweltverbänden“ hinwirken. Der Pakt spricht sich sehr deutlich für die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung aus: “Die Kommunikation soll die relevanten Konfliktfelder berücksichtigen und ergebnisorientiert befrieden. Dazu soll die Möglichkeit einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 Abs. 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) stärker genutzt werden“. In der Umsetzung durch das BMI und die Beratung der Länder spiegelt sich dies leider nicht wider.

Dabei wäre mehr Klarheit des Gesetzgebers unbedingt erforderlich: Denn für die Praxis sollte Konflikt- und Dialogmanagement – einschließlich der Prinzipien und Verfahren einer Mediation – in der informellen frühen Öffentlichkeitsbeteiligung so umgesetzt werden, dass sie auch anschlussfähig an das Genehmigungsverfahren sind. Dies heißt zum Beispiel konkret, dass es sich bei der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung gerade nicht um vordergründige Akzeptanzbeschaffung in „Turnhallenschlachten“ bei wütenden Bürgern handeln darf, sondern um themen- und ergebnisbezogene Dialoge und Beteiligungsformate, die sowohl dem Vorhabenträger als auch der Behörde weiterhelfen. Denn in solchen Beteiligungsformaten mit mediativen Elementen können je nach rechtlichem Genehmigungsverfahren (Planfeststellung, BImSchG etc.) zum Beispiel Bewertungskriterien für Varianten oder Auswirkungen des Projekts diskutiert und die erreichten Begründungen für oder gegen erreichte Konsense dokumentiert werden. Das Erfordernis einer Dokumentation wird auch in der Begründung des Gesetzentwurfes beschrieben – allerdings nicht im Gesetzestext.

Konkretisierungen für die Praxis erforderlich

Von daher bedarf es in der Praxis dringend weitergehender Konkretisierungen, wie denn das Zusammenwirken von technischer Planung, Abwägungen von Varianten, Diskussion der Auswirkungen und Nutzbarmachung der Ergebnisse für das Genehmigungsverfahren funktionieren kann. Empfehlungen hierzu werden aktuell bei der Überarbeitung eines fachlichen Regelwerks, der Richtlinie VDI 7000,6 diskutiert. Die VDI 7000 wurde 2015 veröffentlicht und stellt inzwischen einen breit anerkannten Qualitätsstandard für frühe Öffentlichkeitsbeteiligung dar. In der Überarbeitung soll auch die Verzahnung mit den Genehmigungsverfahren stärker behandelt werden.

Vorhabenträger sind gut beraten, wenn mögliche Konflikte bereits vor einem formellen Verfahren bearbeitet werden und diese nicht erst im späteren Erörterungstermin erstmals offen diskutiert werden. Denn dann ist es in aller Regel für Planänderungen oder neue Lösungsideen zu spät.

Ausblick

Die gerade in Überarbeitung befindliche VDI 7000 will einen Qualitätsstandard für dieses Vorgehen entwickeln, ohne dass dieser rechtlich verbindlich wäre und so die Vorhabenträger zu sehr einengen würde. Diese Flexibilität einer eigenverantwortlichen Lösung der informellen frühen Öffentlichkeitsbeteiligung ist vergleichbar mit der Methodik der Mediation, die ebenfalls aus der Flexibilität und Eigenverantwortlichkeit der Medianden ihren Erfolg bezieht. Davon kann frühe Öffentlichkeitsbeteiligung – in der Verzahnung mit förmlichen Verfahren – durchaus lernen.

Es ist zu hoffen, dass in der weiteren Befassung des neuen § 25a VwVfG im Bundestag als auch dann bei der Neuregelung der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder die Umsetzung in die Praxis mit mehr Leben gefüllt wird. Das untergesetzliche Regelwerk der VDI 7000 leistet hierzu einen wertvollen Beitrag.

1 § 25 VwVfG Beratung, Auskunft, frühe Öffentlichkeitsbeteiligung (aktuell geltendes Recht)

(3) Die Behörde wirkt darauf hin, dass der Träger bei der Planung von Vorhaben, die nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf die Belange einer größeren Zahl von Dritten haben können, die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig über die Ziele des Vorhabens, die Mittel, es zu verwirklichen, und die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens unterrichtet (frühe Öffentlichkeitsbeteiligung). Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung soll möglichst bereits vor Stellung eines Antrags stattfinden. Der betroffenen Öffentlichkeit soll Gelegenheit zur Äußerung und zur Erörterung gegeben werden. Das Ergebnis der vor Antragstellung durchgeführten frühen Öffentlichkeitsbeteiligung soll der betroffenen Öffentlichkeit und der Behörde spätestens mit der Antragstellung, im Übrigen unverzüglich mitgeteilt werden. Satz 1 gilt nicht, soweit die betroffene Öffentlichkeit bereits nach anderen Rechtsvorschriften vor der Antragstellung zu beteiligen ist. Beteiligungsrechte nach anderen Rechtsvorschriften bleiben unberührt.

2 § 25a VwVfG Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung (Gesetzesentwurf)

(1) Die Behörde wirkt darauf hin, dass der Träger eines Vorhabens, das nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf die Belange einer größeren Zahl von Dritten haben kann, die von dem Vorhaben betroffene Öffentlichkeit bei der Planung bereits frühzeitig vor Stellung des Antrags unterrichtet (frühe Öffentlichkeitsbeteiligung). Satz 1 gilt nicht, soweit die betroffene Öffentlichkeit bereits nach anderen Rechtsvorschriften vor der Antragstellung zu beteiligen ist. Beteiligungsrechte nach anderen Rechtsvorschriften bleiben unberührt.

(2) Der Vorhabenträger soll die betroffene Öffentlichkeit über die Ziele des Vorhabens, die Mittel, es zu verwirklichen, und die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens unterrichten und Gelegenheit zur Äußerung und Erörterung geben.

(3) Der Vorhabenträger soll Inhalt und abschließendes Ergebnis der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung

  1. in einem verkehrsüblichen elektronischen Format unverzüglich, spätestens mit der Antragstellung, an die Behörde übermitteln und
  2. der betroffenen Öffentlichkeit mitteilen.

Für die Übermittlung nach Nummer 1 soll zudem ein maschinenlesbares Format verwendet werden, wenn auf Seiten des Vorhabenträgers und der Behörde die technischen Voraussetzungen vorliegen und kein unverhältnismäßig hoher Aufwand entsteht.

3 Der Gesetzentwurf (BT-Drs. 20/11980) wurde dem Bundestag zugeleitet (https://dserver.bundestag.de/btd/20/119/2011980.pdf)

4 Siehe auch die Beiträge unter:

5 https://hessen.de/handeln/mpk/ministerpraesidentenkonferenz-in-berlin

6 https://www.vdi.de/7000

Ähnliche Beiträge