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Teil 4: Erfolgreiche Organisationsentwicklung durch prozessorientierte Methoden – Ein Praxisbeispiel

Das „Handbuch Mediationsrecht“ von Fritz / Pielsticker, nunmehr in 3. Auflage erschienen, ist bekanntlich breit aufgestellt – nicht allein vom Umfang mit über 1300 Seiten, sondern vor allem von seinem Inhalt: Da wären zum einen in den Abschnitten 1 bis 4 die umfassenden Kommentierungen der Vorschriften des Mediationsförderungsgesetzes, der Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren, des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes und des Gesetzes über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu nennen. Und zum anderen in den Abschnitten 5 und 6 der qualitätsvolle Lehrbuchteil, der sich mit Methodik und Anwendungsbereichen der Mediation befasst und die anderen Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung ausführlich darstellt.

Der vorliegende Beitrag von Dr. Piet Sellke – der vierte in einer Reihe von Abhandlungen, die die Inhalte des Handbuchs aufgreifen – beschreibt ein Praxisbeispiel einer erfolgreichen Organisationsentwicklung durch prozessorientierte Methoden. Ausführungen hierzu – ebenfalls verfasst von Dr. Piet Sellke – finden sich im Handbuch ab S. 976 ff.

Hier nun der aktuelle Beitrag:

Erfolgreiche Organisationsentwicklung durch prozessorientierte Methoden – Ein Praxisbeispiel

Einleitung

Ein mittelständisches Unternehmen aus der produzierenden Industrie mit rund 500 Mitarbeitenden sah sich mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Der Marktdruck durch internationale Wettbewerber hatte zugenommen, gleichzeitig war die Unternehmenskultur durch langjährige hierarchische Strukturen geprägt, die den Wandel erschwerten. Die Geschäftsleitung entschied sich, mithilfe externer Prozessbegleitung eine umfassende Organisationsentwicklung durchzuführen, um die internen Strukturen anzupassen, die Zusammenarbeit zu verbessern und eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Dabei kamen die Methoden der prozessorientierten Organisationsentwicklung sowie Elemente der Mediation zum Einsatz.

Ausgangssituation und Problemanalyse

Der initiale Auslöser für die Veränderungsprozesse war eine strategische Neuausrichtung, die die Einführung agilerer Arbeitsweisen und eine stärkere Kundenorientierung vorsah. Im Rahmen einer umfassenden Diagnose wurden Konfliktfelder identifiziert:

  • Strukturelle Defizite: Unklare Zuständigkeiten und ineffiziente Prozesse führten zu Verzögerungen und erhöhter Arbeitsbelastung.
  • Kulturelle Spannungen: Ein starker Fokus auf formale Hierarchien hemmte Innovationen und die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden.
  • Kommunikationsprobleme: Fehlende Transparenz und ein Mangel an klaren Kommunikationswegen verstärkten Misstrauen.

Zusätzlich zeigte die Diagnose, dass die Mitarbeiterzufriedenheit durch die genannten Probleme erheblich beeinträchtigt war. Eine interne Befragung ergab, dass 60 % der Mitarbeitenden keine klare Perspektive für ihre berufliche Entwicklung im Unternehmen sahen. Führungskräfte bemängelten eine fehlende strategische Ausrichtung, während operative Mitarbeitende sich durch eine hohe Arbeitsbelastung überfordert fühlten. Dies führte zu einer erhöhten Fluktuation und Schwierigkeiten bei der Rekrutierung neuer Talente.

Interventionsansatz

Auf Basis der Diagnose entschied sich das Unternehmen für einen Entwicklungsansatz, der durch die sieben Wesenselemente von Organisationen (nach Glasl) strukturiert wurde. Ziel war es, die Betroffenen aktiv in die Veränderung einzubinden, um Akzeptanz und Mitgestaltung zu fördern.

  1. Identität und Vision: In moderierten Workshops wurde eine gemeinsame Vision entwickelt, die als Orientierungsrahmen für den Wandel diente. Mediative Methoden halfen, unterschiedliche Perspektiven zu integrieren und Widerstände zu überwinden. Ein zentraler Bestandteil der Vision war die stärkere Fokussierung auf Nachhaltigkeit und Innovationskraft, die auch als Differenzierungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz dienen sollte.

Die Vision wurde in mehreren Iterationen entwickelt, bei denen Mitarbeitende aller Ebenen eingebunden wurden. Durch visuelle Darstellungsmethoden wie Storyboards und Design Thinking-Workshops konnten abstrakte Ideen greifbar gemacht werden. Dies förderte nicht nur die Identifikation mit der Vision, sondern ermöglichte auch, dass individuelle Bedürfnisse berücksichtigt wurden.

  1. Strukturen und Prozesse: Durch gezielte Prozessanalysen und die Einbeziehung von Mitarbeitenden wurden Zuständigkeiten neu definiert und Entscheidungswege verkürzt. Konflikte über Aufgabenverteilungen konnten durch strukturierte Gespräche geklärt werden. Zudem wurden agile Arbeitsmethoden in Pilotprojekten eingeführt, um Flexibilität und Effizienz zu erhöhen. Die Einführung eines digitalen Tools zur Prozesssteuerung half dabei, Transparenz und Nachverfolgbarkeit zu verbessern.

Ein besonderer Fokus lag auf der Einführung eines klaren Rahmens für Verantwortlichkeiten. Es wurde ein RACI-Modell (Responsible, Accountable, Consulted, Informed) implementiert, um Missverständnisse bei der Aufgabenverteilung zu vermeiden. Regelmäßige Retrospektiven ermöglichten es den Teams, ihre Arbeitsweisen kontinuierlich zu verbessern.

  1. Psychosoziale Prozesse: Einzelgespräche und Teamentwicklungsübungen halfen, belastende emotionale Themen anzusprechen und Vertrauen wiederherzustellen. Positive Beispiele gelungener Zusammenarbeit wurden hervorgehoben, um Motivation und Identifikation zu stärken. Gleichzeitig wurden Konflikte systematisch aufgearbeitet. So wurden beispielsweise Mediationsverfahren eingesetzt, um Spannungen zwischen verschiedenen Abteilungen zu lösen, die durch unterschiedliche Zielvorgaben entstanden waren.

Eine zentrale Maßnahme war die Einführung von Peer-Coaching-Gruppen. Mitarbeitende konnten in einem geschützten Rahmen über Herausforderungen sprechen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Diese Gruppen förderten nicht nur den Austausch, sondern stärkten auch die Eigenverantwortung und Resilienz.

  1. Lernprozesse: Führungskräfte und Mitarbeitende nahmen an Trainings teil, die den Umgang mit Konflikten, agile Methoden und Veränderungsmanagement vermittelten. Dabei wurde besonderer Wert auf praxisnahe Übungen gelegt, die direkt in den Arbeitsalltag integriert werden konnten. Ein Mentoring-Programm unterstützte neue Führungskräfte dabei, ihre Rollen effektiv auszufüllen.

Zusätzlich wurde ein umfassendes eLearning-Programm entwickelt, das den Mitarbeitenden Flexibilität bot. Themenschwerpunkte waren unter anderem Kommunikation, Veränderungsbereitschaft und Innovationsförderung. Gamifizierte Elemente steigerten die Motivation und erleichterten das Lernen.

  1. Informationsprozesse: Eine klare und offene Kommunikation wurde als Schlüssel zum Erfolg definiert. Regelmäßige Informationsveranstaltungen und ein wöchentlicher Newsletter hielten alle Mitarbeitenden über den Fortschritt des Veränderungsprozesses auf dem Laufenden. Darüber hinaus wurde ein internes Feedbacksystem eingeführt, das es den Mitarbeitenden ermöglichte, anonym Rückmeldungen zu geben und Verbesserungsvorschläge einzubringen.

Besondere Aufmerksamkeit wurde der Kommunikation von Erfolgen gewidmet. Ein internes „Change-Journal“ dokumentierte Fortschritte und Erfolgsgeschichten, die regelmäßig in den Teams präsentiert wurden. Dies schuf ein Gefühl des gemeinsamen Fortschritts und stärkte die Motivation.

Ergebnisse

Die prozessorientierte Begleitung führte zu messbaren Verbesserungen:

  • Effizienzsteigerung: Klare Prozesse und Zuständigkeiten reduzierten Durchlaufzeiten um 20 %.
  • Stärkere Eigenverantwortung: Mitarbeitende zeigten vermehrt Initiative, da sie in Entscheidungen einbezogen wurden.
  • Verbesserte Kommunikation: Regelmäßige Meetings und transparente Informationsprozesse minimierten Missverständnisse.
  • Gestärkte Unternehmenskultur: Die neue Vision schuf ein gemeinsames Verständnis von Zielen und Werten.

Darüber hinaus konnte die Mitarbeiterzufriedenheit deutlich gesteigert werden. Die Fluktuationsrate sank innerhalb eines Jahres um 15 %, und die Bewerbungen auf offene Stellen nahmen um 30 % zu. Führungskräfte berichteten, dass die Zusammenarbeit in den Teams harmonischer und produktiver geworden sei. Auch extern erhielt das Unternehmen positives Feedback von Kunden und Partnern, die die gesteigerte Professionalität und Effizienz lobten.

Ein zusätzlicher Erfolg war die Entwicklung neuer Produktideen, die aus den Innovationsworkshops hervorgingen. Diese Produkte führten nicht nur zu einer Umsatzsteigerung, sondern stärkten auch die Position des Unternehmens im Markt.

Schlussfolgerung

Das Beispiel zeigt, wie die Kombination aus systemischer Organisationsentwicklung und mediativen Elementen nachhaltige Veränderungen ermöglichen kann. Durch die aktive Einbindung der Beteiligten und die Fokussierung auf prozessorientierte Lösungen wurden nicht nur Konflikte gelöst, sondern auch die Basis für eine langfristige Weiterentwicklung geschaffen. Die Transformation war nicht nur ein struktureller, sondern auch ein kultureller Erfolg.

Besonders hervorzuheben ist die Bedeutung der kontinuierlichen Begleitung und Nachsteuerung. Der Einsatz mediativer Methoden ermöglichte es, Spannungen frühzeitig zu erkennen und aufzulösen, während die systematische Prozesssteuerung sicherstellte, dass die Veränderungsziele erreicht wurden. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass erfolgreiche Organisationsentwicklung immer eine Kombination aus strukturellen Anpassungen, kultureller Transformation und der Einbindung der Menschen erfordert. Die positive Resonanz der Mitarbeitenden zeigt, dass Veränderungen, wenn sie transparent und partizipativ gestaltet werden, nicht nur akzeptiert, sondern aktiv mitgetragen werden.

Langfristig gesehen bietet der prozessorientierte Ansatz auch die Möglichkeit, die Organisation kontinuierlich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Die in diesem Projekt gewonnenen Erfahrungen und Kompetenzen dienen dem Unternehmen als Grundlage für zukünftige Entwicklungen und stärken dessen Resilienz.

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