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Teil 7: Mediation in den Fachgerichtsbarkeiten

Das Handbuch Mediationsrecht von Fritz / Pielsticker ist bekanntlich breit aufgestellt – nicht allein vom Umfang mit über 1300 Seiten, sondern vor allem von seinem Inhalt:

Da wären zum einen in den Abschnitten 1 bis 4 die umfassenden Kommentierungen der Vorschriften des Mediationsförderungsgesetzes, der Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren, des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes und des Gesetzes über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu nennen.

Und zum anderen in den Abschnitten 5 und 6 der qualitätsvolle Lehrbuchteil, der sich mit Methodik und Anwendungsbereichen der Mediation befasst und die anderen Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung ausführlich darstellt.

Der vorliegende Beitrag von Dr. Rainald Gerster – der siebte in einer Reihe von Abhandlungen, die die Inhalte des Handbuchs aufgreifen – befasst sich mit der Mediation in den FachgerichtsbarkeitenAusführungen hierzu – ebenfalls bearbeitet von Dr. Gerster – finden sich im Handbuch auf S. 380-495.

Hier nun der aktuelle Beitrag:

Mediation in den Fachgerichtsbarkeiten

Die Mediation zielt darauf, die Beteiligten eines Rechtsstreits mit fachkundiger Unterstützung dazu zu bringen, eigenverantwortlich eine Lösung ihres Streitverhältnisses zu finden. Dabei folgt sie der Annahme, dass die Beteiligten letztlich nicht den Streit um seiner selbst willen suchen, sondern es ihnen um eine Regelung ihrer Verhältnisse geht. Ihr zentrales Feld sind daher all die Bereiche, in denen die Privatautonomie herrscht, zuvörderst die streitige Zivil- und die Arbeitsgerichtsbarkeit.

In der Arbeitsgerichtsbarkeit stieß das Güterichterverfahren bei seiner Einführung durch das Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vom 21.07.2012 auf die bereits bestehende, zwingend vorgesehene Verhandlung vor dem Vorsitzenden zum Zwecke der gütlichen Einigung der Parteien, die Güteverhandlung, mit traditionell hohen Zahlen an vergleichsweisen Erledigungen. Damit stand die Frage im Raum, welcher Anwendungsbereich dem Güterichter denn nun in der Arbeitsgerichtsbarkeit zukommen solle; oder hatte der Gesetzgeber hier bloß unter Verkennung bisheriger Regelung und Praxis eine parallele Struktur eingeführt, die nichts zur Vereinfachung und Beschleunigung, wohl aber zur Verwirrung, beitragen konnte?

Die Antwort liegt darin, das – fakultative – Güterichterverfahren als eine zusätzliche Möglichkeit zu begreifen, in dafür geeignet erscheinenden Fällen, ausgehend von dem, was die Parteien für zwischen ihnen für klärungsbedürftig erachteten, eine Lösung (auch) der aktuellen Streitfrage(n) zu finden – und zwar gerade nicht durch die gesetzliche Richterin oder den gesetzlichen Richter, der nach erfolglos verlaufener Güteverhandlung zur streitigen Verhandlung überzugehen hätte. Das setzt Kenntnis von und Sensibilität für die Möglichkeiten der Mediation sowie die Geeignetheit des vorgetragenen Streits dafür voraus.

Doch auch die Verfahrensordnungen mit Amtsermittlungsgrundsatz sind der Mediation nicht notwendig fremd. Die StPO ist davon freilich auszunehmen, denn die Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten ist keine Mediation und ebenso nicht als Güterrichterverfahren ausgestaltet; auf das FamFG möchte ich hier nicht näher eingehen, doch eröffnen sich für dessen Anwendungsbereich bereits verschiedene Möglichkeiten. Dem verwaltungs-, sozial- und finanzgerichtlichen Verfahren war ein Güteverfahren eigentlich fremd, ihm entfernt vergleichbar höchstens der in den jeweiligen Prozessordnungen vorgesehene Termin zur Erörterung des Sach- und Streitstands und zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits vor dem Vorsitzenden oder dem Berichterstatter.

Gestaltungsmöglichkeiten sind indes auch in diesen Fachgerichtsbarkeiten eröffnet. So bieten sich insbesondere gerade Infrastrukturverfahren an, in denen es um einen Ausgleich widerstreitender Interessen geht. Ein Beispiel hierfür war das außergerichtlich betriebene Mediationsverfahren zum Bau der Landebahn Nordwest des Flughafens Frankfurt am Main in den Jahren 1998 bis 2000, das insgesamt 18 Monate dauerte, 24 Sitzungen der Mediationsgruppe umfasste und zu einem Mediationspaket mit fünf einander ergänzenden Bausteinen führte.

Doch geht es auch im kleineren Rahmen. Zu meinen, in der Verwaltungsgerichtsbarkeit sei der Kreis für eine Mediation geeigneter Verfahren überschaubar, griffe zu kurz. Thematisch bieten sich Dauerrechtsverhältnisse – wie etwa im Aufenthaltsrecht –, unbestimmte Rechtsbegriffe oder Ermessensräume durchaus für eine gemeinsame Lösungssuche an. In zeitlicher Hinsicht können Güterrichterverfahren, in denen sich regelmäßig nicht für den Weg einer Schlichtung oder Schiedsentscheidung, sondern den der Mediation entschieden wird, im Regelfall schneller angegangen werden als Verwaltungsstreitverfahren mit oftmals umfangreichen Vorbereitungen zur Herbeiführung der Spruchreife als Voraussetzung einer Terminierung, denn die Beteiligten haben den Gegenstand ja in der Hand. Ein Vorteil kann auch die prinzipielle Nichtöffentlichkeit und Vertraulichkeit des Güterichterverfahrens sein. Und mit der Erklärung eines Einverständnisses zur Durchführung von Güteversuchen mit Unterstützung einer nicht entscheidungsbefugten Richterin oder eines nicht entscheidungsbefugten Richters nach § 278 Abs. 5 ZPO ist eigentlich schon der erste Schritt aufeinander zu getan worden.

Unabhängig von der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung bestehen selbst in der Finanzgerichtsbarkeit Möglichkeiten, wenn es etwa um eine tatsächliche Verständigung zwischen den Beteiligten hinsichtlich schwieriger Sachverhaltsfragen geht, die der gemeinsamen Feststellung tatsächlicher Grundlagen dient und so die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gerade nicht infrage stellt. Entsprechendes gilt selbstverständlich auch für die Sozialgerichtsbarkeit. Denn das Recht wird durch die Mediation nicht zur Disposition der Beteiligten gestellt, sondern seine Findung im eigenverantwortlichen Handeln gefördert.

Möglichkeiten bestehen also auch in den Fachgerichtsbarkeiten; es kommt nur darauf an, sie zielgerichtet zu nutzen. Das geschieht jedoch bedauerlicherweise nicht in einem solchen Umfang, der wünschenswert wäre: Denn die Zahl der durchgeführten Güterichterverfahren, mögen sie auch von Bundesland zu Bundesland und dort jeweils wiederum von Gericht zu Gericht schwanken, sind insgesamt als zu niedrig zu werten. Die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur, Abhilfemöglichkeiten jedoch nicht ausgeschlossen:

  • Entscheidend dürfte sein, die Streitrichter, mithin die Richterschaft insgesamt, für das Güterichterverfahren zu gewinnen (so auch Kapell, Vom Sisyphos und dem Güterichterverfahren, erscheint demnächst in VBlBW 2025). Das kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Einmal durch regelmäßige Ansprache durch die bestellten Güterichter oder – besser noch – durch jährliche Fortbildungs-/Informationsveranstaltungen der gesamten Richterschaft zu diesem Themenkreis. Dass letzteres zugleich die Unterstützung der jeweiligen gerichtlichen Führungsebene erfordert, dürfte auf der Hand liegen (siehe hierzu und zu weiteren Vorschlägen Fritz, „Das Güterichterverfahren – bereits tot oder noch zu retten?“ hier).
  • Zudem kann langfristig daran gedacht werden, sich der Möglichkeiten und Vorteile zu bedienen, die online-Güterichterverfahren bieten – und sei es auch nur im Rahmen von vorbereitenden und/oder verfahrensunterstützenden Einzelgesprächen (vgl. hierzu Fritz, „Güterichterfortbildung in Baden-Württemberg“, hier).
  • Und schließlich dürfen die vielfältigen Chancen, die der Einsatz von KI heute bereits bietet, nicht vergessen werden (umfassend hierzu Lardy, „KI-Revolution in der Mediatoren Ausbildung“, hier).

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