„Hilfe, ich bekomme keine Mediationsfälle!“ – so hört man immer wieder von Mediatorinnen und Mediatoren. Denn wer gerade seine Mediationsausbildung abgeschlossen hat, hadert gelegentlich damit, dass es ihm nicht gelingen will, eine hinreichende Zahl von Mediationsverfahren zu rekurrieren: sei es, um die Voraussetzungen für den Erwerb oder den Erhalt der Zertifizierung zu schaffen, sei es, um sich am Markt behaupten zu können. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Frage, was MediatorInnen tun können, wenn eine Konfliktpartei einem Mediationsverfahren nicht zustimmt.
Fehlende Einwilligung einer Konfliktpartei
Die Ursache für ausbleibende Verfahren liegt häufig darin begründet, dass eine der Konfliktparteien nicht bereit ist, an einem Mediationsverfahren teilzunehmen. Zwar ist ein Gesellschafter, ein Nachbar, ein Ehepartner, ein Vertragspartner etc. vom Verfahren überzeugt – der andere jedoch steht einer Mediation ablehnend, bestenfalls indifferent gegenüber. Und da die Freiwilligkeit konstituierend für das konsensuale Streitbeilegungsverfahren der Mediation ist, lässt sich die fehlende Einwilligung bekanntlich nicht erzwingen. Viele Anfragen bei MediatorInnen zur Durchführung einer Mediation erfolgen daher häufig ohne dass die Bereitschaft der Gegenseite bereits geklärt wurde oder gar schon vorliegt.
Die Gegenseite für eine Mediation gewinnen
Die ablehnende Haltung einer Konfliktpartei für ein Mediationsverfahren kann auf vielfältigen Gründen beruhen. So kann sie bspw. dem Umstand geschuldet sein, dass die Einwilligung gerade von demjenigen erfragt und erbeten wird, mit dem der Konflikt ausgetragen wird.
In einem solchen Fall wäre es verfehlt, wenn MediatorInnen aus Sorge um ihre Allparteilichkeit den Ball an den an einer Mediation Interessierten zurückspielen und ihn bitten würden, sich erst einmal mit seinem Konfliktpartner in Verbindung zu setzen und diesen um seine Zustimmung zu ersuchen. Denn wer, wenn nicht MediatorInnen, sind die geeigneten Personen, die die Vorteile dieses Verfahrens am Besten darzustellen vermögen? Hier gilt es umzudenken, die Scheu vor einem Gespräch mit der bis dato unbekannten Konfliktpartei abzulegen und sich als Dienstleister zu verstehen, der ein vorzügliches Streitbeilegungsprodukt anzubieten hat.
Das Akquise-Gespräch
Einige Selbstverständlichkeiten sind allerdings zu beachten, wenn MediatorInnen sich mit ablehnend eingestellten Konfliktparteien in Verbindung setzen. Dazu zählen:
> Niemals direkten „live-Kontakt“ suchen und sich niemals unangemeldet telefonisch melden!
> Stets im Vorfeld das Telefonat ankündigen – wenn möglich per E-Mail, per SMS oder durch Anmeldung der Sekretärin (oder eines Dritten)!
> Im Gespräch glaubhaft machen, dass im Vorfeld der Kontaktaufnahme über Details des Konflikts – gerade wegen der Neutralität und Allparteilichkeit – mit der Gegenseite noch nicht gesprochen wurde!
Nun wäre es allerdings vermessen wenn man annehmen wollte, dass jedes MediatorInnen geführte Akquise-Gespräch auch zum Erfolg führen würde. Einen skeptischen oder gar einem Konsens ablehnend gegenüberstehenden Gesprächspartner für eine Mediation gewinnen zu wollen erfordert Erfahrung, Einfühlungsvermögen und überzeugende Argumente. Aber auch hier gilt: „Nichts tun führt zu keinem Erfolg“ und allein „Übung macht den Meister“!
Der Ausweg: Mediatorisches Gespräch mit einer Konfliktpartei
Was aber tun, wenn die Intervention bei der Gegenseite erfolglos war, wenn die Zustimmung zur Teilnahme an einer Mediation trotz aller guten Argumente nicht erreicht wurde?
In einem solchen Fall bietet es sich an, dem an einer Mediation Interessierten vorzuschlagen, sich in einem anderen Format, nämlich dem des mediatorischen Gesprächs zwischen ihm und dem(r) MediatorIn, mit dem bestehenden Konflikt auseinanderzusetzen. Dass diese Vorgehensweise gut vorbereitet sein will, Methoden und Techniken auch hier personen- und konfliktangemessen eingesetzt werden wollen und Mediatoren sich einer emphatischen Grundhaltung befleißigen sollten, dürfte selbstverständlich sein und muss daher nicht weiter ausgeführt werden. Ziel einer solchen Intervention kann wegen der fehlenden anderen Konfliktpartei natürlich nicht eine gemeinsame Lösung sein. Aber sie kann dazu beitragen, dass die interessierte Konfliktpartei neue Erkenntnisse und Einsichten über die sie betreffenden Umstände und Anliegen erfährt und so die bislang von ihr favorisierte Lösung einer Überprüfung unterzieht.
Der Prozess der Selbsterkenntnis
Das beruht auf folgenden Überlegungen: Das Mediationsverfahren ist bekanntlich in allen Phasen dadurch geprägt, dass sich beide Konfliktparteien zunächst einmal über ihre eigenen Positionen, Bedürfnisse, mögliche Optionen und wünschenswerten Verhandlungsergebnisse selbst klar werden. Selbsterkenntnis und -behauptung (oder auch „Window I“ genannt) stehen somit im Fokus jeder einzelnen Phase der Mediation – beginnend bei „Einführung und Kontrakt“ mit der Frage, wie der Mediationsvertrag ausgestaltet werden soll, welche Gesprächsregeln wünschenswert sind und wie die Kosten des Verfahrens aufgeteilt werden sollen. In der „Themenphase“ gilt es dann herauszuarbeiten, welche verhandelbaren Themen sich hinter den eigenen Positionen verbergen, um sich dann in der „Interessensphase“ darüber klar zu werden, welche – bislang zumeist noch verborgenen – Interessen und Bedürfnisse die jeweiligen Themen tragen und bestimmen. Und während – von den eingangs eingenommen Positionen geprägt – Lösungsmöglichkeiten zumeist im ja oder nein gesehen werden, eröffnen sich in der „Optionenphase“ eine Vielzahl von Alternativen, dies bislang noch verschüttet waren und nicht im Blickfeld standen.
Vertiefung durch Wertearbeit
Dieser Erkenntnisprozess kann dadurch noch unterstützt und gefördert werden, dass der/die MediatorIn mit der anwesenden Konfliktpartei in eine Wertearbeit eintritt: Dabei gilt es herauszufinden, welche Werte (über die gemeinhin abgefragten Fairness- und Gerechtigkeitsgesichtspunkte hinaus) als wirklich wichtig und bedeutsam erachtet werden (vgl. hierzu auch Janssen, Wertereflexion, Zeitschrift für Konfliktmanagement 2009, 107 ff; Ordnung, Handlungsbestimmende Werte in der Mediation, Zeitschrift für Konfliktmanagement 2014, 189 ff; Tabatabai, Der Wert als Ziel – Nachhaltige Konfliktklärung in Kooperationskonflikten, Zeitschrift für Konfliktmanagement 2015, 1 ff). Diese Werte gilt es dann zu ordnen, zu gewichten und für eine (strategische) Umsetzung weiter zu entwickeln (siehe hierzu das adribo Academy Fortbildungsangebot „Was wirklich wichtig ist – Wertearbeit in der Mediation“: nähere Einzelheiten finden sich hier auf der Webseite des Instituts.)
Ausgehend hiervon entwickeln sich Gedanken und Überlegungen, wie ein Verhandlungsprozess mit der nicht anwesenden Konfliktpartei durchzuführen wäre, in einer anderen Breite und Tiefe als dies ohne diese auf den einzelnen Konfliktbeteiligten fokussierten Gesichtspunkten der Fall gewesen wäre.
Im eigentlichen Mediationsverfahren, in Anwesenheit der anderen Konfliktpartei, spielt selbstverständlich der Blick auf deren Positionen, Interessen, Optionen und auch Werte im Rahmen der Wechselseitigkeit („Window II“) eine zentrale Rolle – daran fehlt es, wenn diese an der Mediation nicht teilnimmt.
Vertiefender Ansatz: Einführung von Konflikt-Coaching-Tools
Es sei denn, der/die MediatorIn belässt es nicht beim so vorgestellten Weg der mediatorischen Konfliktbearbeitung sondern geht noch einen Schritt weiter und bedient sich darüberhinaus – fall- und parteiabhängig – einschlägiger Konflikt-Coaching-Tools, mit deren Hilfe sich die Sichtweise der nicht anwesenden Konfliktpartei ergründen lässt. Von Fritz/Klenk (Einzelgespräche, Zeitschrift für Konfliktmanagement 2014, 164 ff, 210 ff.) ursprünglich für das eine gemeinsame Mediation unterbrechende Einzelgespräch nutzbar gemacht, bietet sich diese Vorgehensweise auch an, wenn nur eine Konfliktpartei für ein mediatorisches Gespräch zur Verfügung steht (vgl. umfassend zur Abgrenzung Coaching – Mediation Klenk, Coaching, Teil 6 D. in: Fritz/Pielsticker, Handbuch Mediationsgesetz, 2. Aufl. 2020, Luchterhand). Das „Tauschen“, das „Polaritäten-Quartett“ oder auch die „Waage“ sind wirkungsmächtige Tools, die auf ganz unterschiedlichen Ebenen wirken und sich auch von ihrem Arbeitsmodus her unterscheiden: So ermöglicht es bspw. das „Tauschen“, einen Perspektivenwechsel mental, emotional und auf der Körperwahrnehmungsebene nachzuvollziehen, während mithilfe des „Polaritätenquartetts“ sich deutlich machen lässt, dass starke Polarisierung und deutlich spürbare Antipathien darauf beruhen (können), dass der Konfliktpartner verdrängte bzw. nur schwach ausgeprägte eigene Persönlichkeitsanteile spiegelt. Und durch die „Waage“ lassen sich die Vor- und Nachteile eingenommener Positionen wie auch denkbarer Optionen gewichten, um so zu einer differenzierten Bewertung zu gelangen (siehe hierzu das adribo Academy Fortbildungsangebot „Einzelgespräche und Konflikt-Coaching-Tools“: nähere Einzelheiten finden sich hier Einzelgespräche und Konflikt-Coaching-Tools [Frankfurt]auf der Webseite des Instituts.). Schließlich wäre auch an die „Stellvertreter Mediation“ zu denken, die allerdings einen Co-Mediator benötigt und damit für die Konfliktpartei mit höheren Kosten verbunden ist (vgl. Kresse, Stellvertreter Mediation, Spektrum der Mediation, 79/2020, 40 ff).
Vorteile für die Konfliktpartei
MediatorInnen, die auf diese Weise den Prozess der Mediation mit nur einer Konfliktpartei gestalten, können dieser mithin dazu verhelfen,
> einen neuen, vertiefenden Blick auf ihre eigene Situation zu erlangen,
> sich darüber klar zu werden, ob tatsächlich alle oder nur einzelne – und falls ja, welche – Themen von Wichtigkeit sind, welche Interessen einer Befriedung bedürfen und welche Möglichkeiten sich hierfür unter Umständen auftun,
> Einsicht darüber zu gewinnen, ob es lohnenswert ist, den Konflikt weiterhin – ggf. vor einem staatlichen Gericht – auszufechten und – falls ja – mit welcher Schwerpunktsetzung,
> in Betracht zu ziehen, die Auseinandersetzung ggf. auf sich beruhen zu lassen, weil die „Folgekosten“ – gleich ob auf persönlichen oder sachlichen Umständen beruhend – möglicherweise zu hoch sind.
Konsequenzen für MediatorInnen
Die Vorteile für MediatorInnen können sich ebenfalls sehen lassen: Erworbenes Wissen und Können werden trainiert und immer wieder Praxistests unterzogen, über erfolgreiche mediatorische Gespräche lassen sich Netzwerke etablieren und langfristig weitere Mandate gewinnen. Allerdings ist die Honorarseite nicht ganz zufriedenstellend, können doch bei vergleichbarem Zeitaufwand, aber nur einer zahlenden Partei regelmäßig nicht die gleichen Beträge in Rechnung gestellt werden wie bei einer Mediation mit zwei zahlenden Konfliktparteien. Und ausreichend für die nach der Zertifizierungsverordnung erforderliche Einzel-(Fall-)Supervision im Rahmen der Zertifizierung (vgl. § 2 Abs. 5, § 4 ZMediatAusbV) sind weder das hier vorgestellte Mediatorische Gespräch noch die im Beitrag ebenfalls erwähnte „Stellvertreter Mediation“. Hierfür bedarf es nach der Gesetzeslage einer Mediation im Sinne der Definition des § 1 MediationsG.